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Warum ich?

Diese Frage hat sich wohl jede und jeder schon einmal gestellt, besonders drastisch, wenn ein Schicksalsschlag in den Alltag hereinbricht. Dies kann zu einer Bruchstelle in unserer Biografie werden: Werden wir zerbrechen oder brechen wir aus und wachsen über uns und unser bisheriges Leben hinaus?

„Warum ich?“ – diese Frage kann uns im Selbstmitleid versinken und erstarren lassen. Sie kann uns aber auch anregen, einen neuen Blick auf uns selbst und unser Leben zu wagen.

© Artem Kovalev, unsplash

Die Frage nach dem Sinn

Wir stellen drei Perspektiven aus der Praxis vor, um zu erkunden, wie die Frage ihr Veränderungspotenzial entfalten kann und therapeutisch wirksam wird: Dr. med. György Irmey, unser Ärztlicher Direktor, der Pyschoonkologe Josef Ulrich und Dr. med. Petra Barron geben Krebsbetroffenen Impulse, die die Selbstwirksamkeit unterstützen, und die wertvollen Aspekte des „Warum ich?“ für das Erleben und das Erschaffen von Sinn und Bedeutung nutzen.

Liebevolle Aufmerksamkeit hier und jetzt

György Irmey unterscheidet das Gedankenkarussell – unproduktives Kreisen, das scheinbar von selbst abläuft, und dem ich mich ausgeliefert fühle – von der Frage „Was hat eine Krankheit mit mir persönlich, mit meinem Leben zu tun?“ Er empfiehlt, sich Zeit zu nehmen, um wichtige Lebensereignisse zu verdauen, und dabei nicht nur dem Verstand zu vertrauen: „Seien Sie von Herzen bereit, alle Ihre Gefühle zu spüren, ohne sich in ihnen zu verlieren.“ Sich selbst, die inneren Bewegungen und Gefühle liebevoll anzuschauen, bildlich gesprochen: in den Arm zu nehmen, und auf diese Weise sich selbst Trost zu spenden, unterbricht das Gedankenkarussell. „Es eröffnen sich Wege zum Vertrauen. Dieses Vertrauen ist eine entscheidende Basis für neue Sichtweisen.“ So darf sich das „Warum?“ in die Frage nach dem Sinn verwandeln, und György Irmey ermutigt uns, die Antwort offen zu lassen, nicht nur in der Vergangenheit zu suchen, sondern den Sinn in der Gegenwart zu entdecken und in der Zukunft zu erleben.

Lesen Sie Dr. med. György Irmeys Leitgedanken zur aktuellen momentum hier nach:

Vertrauen und Selbstwirksamkeit

Der Psychoonkologe Josef Ulrich kennt die Herausforderung, die sich ganz besonders für Krebspatientinnen und -patienten stellt: der eigenen Wirksamkeit auch in der Krise und in der besonderen Schwäche der Krankheit zu vertrauen. Die Behandlung ist langwierig, der Krankheitsverlauf ist nicht geradlinig und vorhersehbar, oft müssen Betroffene Enttäuschungen und Rückschläge hinnehmen. Hoffnungen auf die Wirkung einer bestimmten Therapie gehen möglicherweise nicht in Erfüllung. Da ist der Gedanke an Selbstwirksamkeit weit entfernt, scheinbar vielleicht sogar paradox. Und dennoch ermutigt der Kunsttherapeut, der selbst auch künstlerisch tätig ist, diese innere Kraft neu kennenzulernen. Auch wenn wir den Eindruck haben, dass wir sie von Grund aufbauen müssen, können wir erleben, dass wir die Realität unseres Lebens und unseres Körpers mitgestalten können.

Selbstwirksamkeit verankern

Auch die verschiedenen Hochs und Tiefs, die im Verlauf der Krankheit aus- und eingehen, kennt Josef Ulrich gut. Er spricht von dem Gedankeneintopf, der beim Hin und Her der Überlegungen – Möglichkeiten, Hoffnungen und Sorgen – entsteht. Um das Durcheinander zu sortieren und sich selbst Orientierung zu geben, schlägt er fünf verschiedene Ebenen oder Dimensionen vor:

  • die geformte Materie
  • die bewegliche Biochemie, die in fortwährenden Prozessen abläuft
  • Emotionen, Empfindungen und Gefühle
  • die Persönlichkeit
  • die geistige – philosophische, religiöse und spirituelle – Dimension.

Bestimmt ist Ihnen momentan die eine oder die andere Ebene eher greifbar und zugänglich. Die gute Nachricht: Auf allen Ebenen können wir als Menschen unsere Selbstwirksamkeit erleben, einüben und mehr und mehr selbstbestimmt handeln. So richten wir unsere Gedanken und unser Fühlen aus, wir selbst sind es, die die Richtung wählen, die wir einschlagen wollen. Und wir dürfen uns Hilfe suchen, für jede der Ebenen gibt es Fachleute, die wertvolle Unterstützung bieten können, wenn wir alleine nicht weiterkommen.

Werden und gestalten

Dieses bewusste Handeln, auch im Denken und Fühlen, hat Auswirkungen auf unser Selbst, unseren Körper und auf unsere Gesundheit. „Der Befund ist das Gewordene, das Befinden moduliert das Werdende,“ sagt Josef Ulrich. „Warum?“ zu fragen, zu überlegen, wo etwas herkommt, kann mir dabei helfen, zu verstehen, wie ich in diese heutige Situation gekommen bin, was dazu geführt hat, dass sich die Dinge so entwickelt haben. Meine Vergangenheit verstehen zu wollen, kann ein mächtiger und grundlegender Impuls für die nächsten Schritte in die Zukunft sein. Für Josef Ulrich ist entscheidend, im Verstehen der Vergangenheit den Prozess zu entdecken, die Bewegung des Gewordenseins bis heute. So bleibe oder werde ich in der Krise beweglich. So werde ich immer mehr zu der Person, die ich schon immer bin.

Lesen Sie den ganzen Artikel von Josef Ulrich „Der zu sein, der ich schon immer bin!“

Bewegung in der Sackgasse

Andererseits kann das „Warum?“ Gedankenschleifen, fruchtlose Grübeleien mit sich bringen und mich in eine Sackgasse führen. Denn meine Krankheit ist kein Rätsel, das ich auflösen kann. Oft zeigen sich hier in diesen Mustern Schuldgefühle, Selbstvorwürfe und auch das Gefühl, bestraft zu werden. „Ich hätte mich immer schon gesünder ernähren, mehr bewegen sollen.“ „Ich hätte alles anders machen sollen, anders leben sollen.“ Hier stecke ich schon tief in meinem Muster fest, das sich dann auch mit dem Gefühl der Hilflosigkeit verbindet.

Um sich aus der Denkspirale zu befreien und wieder in Bewegung zu kommen, können folgende Fragen hilfreich sein: „Was will ich heute für mich tun?“ „Kann ich meiner Gesundheit heute mit meiner Ernährung etwas Gutes tun?“ Oder: „Habe ich jetzt den Impuls, mich mehr zu bewegen?“ So unterbreche ich das Muster und gehe einen Schritt in eine andere, neue Richtung.

Grübeleien und Gedankenmuster schnell zu unterbrechen und uns anderen Gedanken oder Aktivitäten zuzuwenden, ist gar nicht so einfach, besonders bei Mustern, die uns schon lange begleiten und scheinbar von selbst ablaufen. Stimmt. Aber hier gleich noch eine gute Nachricht: Wir können es lernen.

Den Lebenssinn entdecken

Die Reise, die mit der Diagnose beginnt, fühlt sich für viele bedrohlich, oft auch überwältigend an. Betroffene berichten in der Beratung oft von einem außergewöhnlichen Ausnahmezustand, in dem viel in Bewegung, auch ins Wanken gerät. Petra Barron, die als Ärztin im Beratungsdienst der GfBK tätig ist, beschreibt wirkungsvolle Hebel, die sich in Krisensituationen bewährt haben, um die eigenen Schritte selbstbestimmt in Richtung Gesundheit zu lenken und Tuchfühlung mit dem Leben aufzunehmen.

  • Mein Tagebuch: beim Schreiben die eigenen Gedanken und Gefühle erkunden, um Muster, Selbstläufer und Zusammenhänge zu entdecken.
  • Meditation kennt viele verschiedene Traditionen und Formen – gemeinsam ist allen die Suche nach Ruhe, die entspannende Wirkung – besonders wenn regelmäßig geübt wird. Sie bietet die Möglichkeit, von der inneren Gedanken- und Gefühlsjagd abzulassen, und so Platz für Neues zu schaffen.
  • In der Gemeinschaft von Betroffenen kann es uns stärken, unsere Erfahrungen zu teilen.
  • Auch die Suche nach kreativem Ausdruck im Malen, Musizieren oder Schreiben kann uns zur Selbstwirksamkeit führen. Wichtig: Hier geht es nicht darum, ein Ergebnis zu produzieren, sondern etwas auszuprobieren, zu versuchen.
  • Im Alltag Achtsamkeit einzuüben, hilft uns, immer wieder ins Hier und Jetzt zurückzukommen. Wenn ich mich selbst in meiner Situation und auf meinem Weg klar sehe, kann ich meinen nächsten Schritt bewusst ausrichten, ohne mich zu überfordern.

So gestaltet sich mit jedem Schritt, was mein Leben in Zukunft sein wird, wie und was ich in Zukunft leben will. Ich kann dem Sinn meines Lebens nachspüren und der Gesundheit Raum schaffen.

Hier lesen Sie die praktischen Tipps von Dr. med. Petra Barron kompakt nach:


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©iStock, 1210358928, nortonrsx
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